Igoumenitsa ist eine Hafenstadt im Nordwesten Griechenlands. Sie war die letzte größere Stadt auf unserem Weg nach Albanien. Hauptsächlich fahren die Schiffe nach Italien und zur Insel Korfu. Igoumenitsa ist ein Transitort für viele Menschen. Jenseits des Hafens und der Küstenpromenade mit Cafés, Restaurants und einem Jahrmarkt ist nicht viel los. Tagsüber wirkt die Stadt wie ausgestorben. Erst Abends, nachdem die Sonne untergegangen ist, kommen die Menschen raus und sind in den Straßen unterwegs. Dreh- und Angelpunkt der Stadt ist das Hafenterminal. Es ist kühl in dem großen grauen Gebäude und die Menschen kaufen sich ihre Tickets, warten auf ihre Schiffe oder suchen Schutz vor der Mittagshitze. Hier sind drei Geschichten von diesem Ort.
Der Kapitän
Der Kapitän sitzt auf dem Trockenen. Seit über vier Monaten, dem 25. April um genau zu sein, liegt er in Igoumenitsa mit seinem Schiff vor Anker. Seine Kapitänsuniform hat er eingetauscht. Er trägt jetzt Jeanshose und aufgeknöpfte Jeansjacke. Und, wie so viele an Land gestrandete Seekreaturen, ist er hilflos. Der Kapitän und seine Crew sind aus der Türkei, machten einen Zwischenstopp in Igoumenitsa auf dem Weg nach Italien und müssen nun mit der Polizei über Visa diskutieren, damit sie weiter im Land bleiben dürfen. Im Hafen Terminal spricht er mit Beamten der Hafenbehörde, die ihn, sein Schiff und seine Crew in der Küstenstadt festhalten. Zwei der Crewmitglieder beobachten die Diskussion: Ein Mann Mitte sechzig mit gebeugtem Rücken und grauen Haaren und ein junger Mann mit Brandnarben auf den Händen. Verstehen können sie von dem Gespräch allerdings nichts, denn sie sprechen kein Englisch.
Seit acht Monaten wurden der Kapitän und seine Crew nicht mehr bezahlt. Er weiß nicht genau warum. Vermutlich ist das Unternehmen in Geldsorgen. Deswegen, so scheint es, hält die Hafenpolizei auch das Schiff fest. Seine Firma (Reederei) hat die Lagegebühr nicht bezahlt. »100.000 Euro wollen die haben, bevor wir weiter können«, meint der Kapitän. Wo das her kommen soll ist nicht klar. Als ein Hafenpolizist im Terminal sieht, dass wir mit dem Kapitän sprechen, geht er dazwischen und nimmt ihn erstmal wieder mit in sein Büro. Vor der Tür warten wir auf den Kapitän und rund eine halbe Stunde später kommt er heraus. Er ist allerdings nicht viel schlauer. „Keiner weiß, was eigentlich los ist.“ Er versucht jetzt erstmal, seine Crew heimzubringen. Über Thessaloniki werden sie versuchen, nach Istanbul zu kommen. Schnell wird das aber nicht gehen, vermutet der Kapitän. »Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels.«
Der Busfahrer
Auch Christian steckt fest. Noch eine Stunde hat er Zeit, eine Steuer-Identifikationsnummer aufzutreiben, bevor das Schiff nach Ancona ohne ihn, seinen Bus, und seine Mitfahrer Pepe und dessen Frau abfährt. „Die Nummer hatte ich irgendwann mal, habe sie aber nie benutzt und in den Müll geworfen. Habt ihr zufällig eine, die ich benutzen kann?“ Ohne die Nummer kann er kein Ticket für das Schiff kaufen. Und ohne Ticket muss er seinen Bus auf irgendeiner anderen Route nach Mali schaffen.
Christian ist Busfahrer ohne Busführerschein. Seine Route steht in keinem Plan, er hat keine feste Uhrzeiten oder Haltestellen, er fährt immer unterschiedliche Busse. Passagiere hat er nur vereinzelt, manchmal nimmt er Flüchtlinge mit. Nur Start- und Zielort seiner Reise stehen fest. Und der Preis für den Bus. Der Bus, mit dem der 33-jährige diesmal unterwegs ist, sieht unscheinbar aus, ein großer, blauer Reisebus. Für rund 7000 Euro hat er ihn von seinem Freund Iannis in Thessaloniki gekauft. Eine weitere Bekanntschaft hat für 750 Euro Provision einen Käufer in Mali gefunden. Jetzt muss der Bus dort nur noch irgendwie ankommen.
Alle zwei bis drei Monate fährt Christian diese Tour. Es läuft immer ähnlich ab. Iannis beschafft den Bus, Christian kauft ihn, fährt ihn von Thessaloniki nach Mali, wo jemand anderes einen Käufer beschafft. Wie viel Christian für einen Bus bekommt, will er nicht genau sagen. Diesmal allerdings hat er eine Anzahlung von 8000 Euro bekommen, bevor er losgefahren ist. Den Rest kriegt er dann in Raten ausgezahlt, wenn er den Bus abgeliefert hat. Zwischen zwei und drei Wochen dauert die Fahrt, acht bis 16 Stunden sitzt er am Tag hinter dem Steuer.
Seine erste Tour hat der Mann aus dem bergischen Land mit seiner damaligen Freundin gemacht. Fünf Jahre waren sie unterwegs, sind durch Indien, Pakistan, Europa und Nord-Afrika getourt und haben sich damit über Wasser gehalten, dass sie Zigaretten nach Deutschland geschmuggelt und verkauft haben. Das war nach seinem Zivildienst und seiner Ausbildung zum Mechaniker. Mit dem Busverkauf hat er später angefangen. Jetzt ist die Freundin seine Ex-Freundin, und Christian ist meistens alleine unterwegs. „Das ist auf Dauer nicht gut, manche Momente muss man einfach mit anderen teilen.“ Deshalb nimmt er gelegentlich andere Leute mit. Diesmal stoßen der 66jährige Pepe und seine Frau in Igoumenitsa dazu. Das Rentner-Ehepaar sieht die Fahrt als eine kostenlose Urlaubs- und Abenteuerreise. Außerdem kann Pepe so den Bus bis nach Spanien fahren, den Abschnitt der Reise, wo Christian ohne Busführerschein Probleme bekommen könnte. Ab Marokko sitzt Christian dann wieder hinter dem Lenkrad. „Ich will mir eigentlich schon seit längerer Zeit einen Busführerschein in Mali kaufen, meint er. „Bin aber noch nicht dazu gekommen.“
Manchmal nimmt Christian auch Flüchtlinge mit. Auf dieser Tour ist er mit Iannis von Thessaloniki zur Mazedonischen Grenze gefahren, um sich die Situation dort mal anzuschauen. Er zeigt uns Fotos von den Flüchtlingen, die am Grenzzaun warten auf der einen Seite der Grenze, und den aufgereihten Polizisten auf der anderen. „Am Ende sind die meisten aber rübergekommen“, erzählt Christian. Ein paar hat er ein Stück mitgenommen. »Meisten lasse ich solche Sachen emotional nicht so nah an mich ran und schotte mich ab, aber manchmal nimmt es mich doch ziemlich mit. Die Situation ist einfach scheiße.« Als Deutscher sieht sich Christian nicht mehr wirklich. »Ich fühle mich vielleicht noch zur Hälfte deutsch, zu einem Viertel bin ich aus Mali und zu einem Viertel arabisch.« Deutsch spreche er kaum noch, häufig englisch, arabisch, italienisch oder französisch. Aber Mali ist am ehesten seine Heimat. »Das ist mein absolutes Lieblingsland, die Kultur dort ist großartig und sehr alt.« Er hat dort eine kleine Wohnung für die Momente, wenn er nicht im Bus unterwegs ist. Ewig, so meint er, wolle er dieses Geschäft nicht mehr weitermachen. Das leben auf der Straße fordert seinen Tribut. Momentan aber muss er. »Ich hatte eine Menge Geld verdient, wusste nichts mit anzufangen, und habe es dann in Afrika investiert und verloren.« Jetzt hat er Schulden, unter anderem auch bei Pepe. Aber irgendwann hofft er, ein ruhigeres Leben zu führen. Das liegt wohl aber noch in ferner Zukunft. Bis dahin hat er kleinere Träume. In zwei bis drei Jahren möchte er von Bussen auf Laster umsteigen. Und bis in einer Stunde möchte er eine Steuer-Identifikationsnummer aufgetrieben haben. Mali wartet.
Die Flüchtlinge
Igoumenitsa war Hoffnung. Hoffnung auf ein Schiff, Hoffnung auf Italien, Hoffnung auf ein besseres Leben. Für viele Flüchtlinge war Igoumenitsa ein erstes Ziel, nachdem sie aus Mazedonien oder auf anderen Routen nach Griechenland kommen. Im Hafen der Stadt fahren ununterbrochen Schiffe aus Italien ein und aus. Italien verspricht ein besseres Leben als Griechenland, wo es den meisten Flüchtlingen schlecht geht.Noch 2011 lebten mehrere Hundert Flüchtlige in den Wäldern und Bergen um Igoumenitsa. Alexander Besant, ein französischer Journalist war dort, wenige Tage nachdem das Camp der Flüchtlinge im selben Jahr von der Polizei geräumt wurde. Über ein Jahr hätten sie dort gelebt, berichtet er, ohne Wasser, Elektriziät oder Essen. Ihr Essen haben sie aus dem Müll geholt. Manchmal kam die NGO Medecines du Monde und brachte Lebensmittel und versorgte die Menschen medizinisch. Dann löste die Polizei das Camp auf. Heute sind weniger Flüchtlinge in Igoumenitsa, sage die Anwohner.Medecines du Monde arbeitet nicht mehr dort. Die Organisation erinnert sich auf Anfrage kaum noch daran, dass sie mal in der Hafenstadt aktiv waren. Im November 2014 verhaftete die Polizei einen 23-jährigen Syrer, der versuchen wollte, auf ein Boot nach Italien zu kommen. Er hatte sich zwischen warteten Lastwagen versteckt, als ein Hafenmitarbeiter ihn entdeckte und zur Polizei brachte. Ein Polizist der Küstenwache schätzt, dass noch etwa 20 Flüchtlinge in der Stadt sind. Man sieht sie im Hafenterminal: Einige Familien, die in Schlafsäcken und auf Decken campen und warten.