Robyn Schmidt & Lovis Krüger wandern entlang der Mittelmeerküste durch Europa und berichten darüber. Das ist unser Weg.

Robyn Schmidt am 19. Aug 2015, 0 Comments
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Kostas Buraelis ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Athen. Wir haben uns mit ihm getroffen um über das antike Griechenland und die Anfänge von Europa zu sprechen.

Griechenland wird oft die Wiege der Demokratie genannt und als eine Art Startpunkt für Europa, wie wir es heute kennen, gesehen.Wie ist das vonstatten gegangen, dass Griechenland die Demokratie erfunden hat und sich diese dann in ganz Europa verteilt hat?
Was ist das Wesen der Demokratie? Dass eine große Gruppe von Leuten, die Bürger einer Stadt sind, von einem Punkt an glauben, dass sie eine Gleichheit der Rechte und natürlich auch Verpflichtungen gegenüber ihrem gemeinsamen Staat haben sollten. Das war tatsächlich mit der griechischen Geschichte eine neue Idee. Stellen wir uns vor, dass am Anfang des fünften Jahrhunderts vor Christus die große staatliche Formation im Bereich des östlichen Mittelmeers das persische Großreich war. Da war die Struktur natürlich eine ganz andere. Dann, ganz allmählich in den Städten des griechischen Bereichs, beginnt sich eine Entwicklung zu kristallisieren, die zu der Erfindung der Demokratie geführt hat. Das wichtige dabei war, dass von einem Punkt an, aristokratische Regimes mit Teilen des einfachen Volkes gemeinsame Sache gemacht haben gegen andere Aristokraten. Kleisthenes, der in der Geschichte als der Vater der Demokratie gilt, war ein Aristokrat. Er kam von einem der großen Häuser Athens, den Alkmeoniden, aber gleichzeitig hat er gemeinsame Sache mit dem Vok gemacht gegen seine aristokratischen Gegner. Auf diese Weise hat das Volk allmählich mehr und mehr Kapazitäten, Befugnisse, Rechte und Verpflichtungen im Rahmen des athenischen Staates bekommen und schließlich ist diese neue Form des Staatswesens Demokratie, die Herrschaft des Volkes genannt worden.
Man sollte nie die Illusion hegen, dass das alte Griechenland nur aus Demokratie bestand. Die Erfindung der Demokratie war so wichtig, dass man oft vergisst, dass es nebenbei auch andere staatliche Formationen gab, die nicht auf diesem Gleichheitsprinzip basiert waren, sondern einfach die schon frühere Tradition der Aristokratien fortsetzte.

Würden Sie sagen, dass man noch direkt den Einfluss der antiken griechischen Zivilisation im heutigen Europa spürt?
Ja natürlich. Jedes mal, wenn man das Wort Demokratie benutzt, oder die Idee selbst, dass viele Leute an einem politischen Entscheidungsprozess teilnehmen dürfen, verbindet man sich automatisch mit dem alten Griechenland. Stellen Sie sich eine Volksversammlung in Athen und eine in Rom vor. Das Prinzip in der griechischen Demokratie war, dass die Athener sich versammeln würden und der Herold der Versammlung würde laut sagen: „Wer möchte sprechen?“ Jeder Athener könnte seine Hand heben und etwas zu dem Thema sagen. Und auf Grund all dieser Bemerkungen ist man dann zu einer Entscheidung gekommen. In Rom hat man nicht so getagt als Versammlung. Der Konsul würde einen Text vorlegen und das Volk dürfte ein Ja oder ein Nein sagen. Nicht nur das, die Römer würden nicht Hände zählen um zu wissen, welche Entscheidung angenommen wird und welche nicht, sondern sie würden als Gruppen, als Zenturie, zählen, also eine Art Armeeunterabteilung. Wir würden eine solche Abteilung bilden, wir würden tagen, und wir würden eine Stimme abgeben. Nicht der Mensch als einzelne Größe als Basis einer Entscheidung. Diese persönliche Verantwortung, diese persönliche Bewertung des Bürgers fällt weg. Das ist eine griechische Erbschaft.

Damals hatten die Griechen ja das Konzept Europa noch nicht wirklich im Blick.
Das Wort Europa ist griechisch. Es gibt die Erzählung, dass Europa eine schöne Dame war, die Zeus in der Form eines Stiers entführt hat. Er hat also Europa auf seinem Rücken in diesen Bereich gebracht. Für die alten Griechen war Europa der Erdteil, der gegenüber Asien lag. Das war eine große, eine feste Unterscheidung im altgriechischen geographischen Verständnis. Nur war Europa natürlich nicht genau definiert, was ihr Ende betraf. Man wusste, es gab viele andere Völker, einige davon kannte man durch die Nähe, wie zum Beispiel die verschiedenen Völker Italiens, die Leute im höheren Balkan, aber von den anderen hatte man nur eine ungefähre Ahnung am Anfang. Dann gab es griechische Geographen, die in vielen Bereichen Europas gereist sind und Informationen geholt haben. Aber mehr über die Völker Westeuropas, haben die Römer festgestellt, denn die Römer waren diejenigen, die das westliche Europa mehr und mehr erkundet und natürlich auch unter ihre Herrschaft gebracht haben.

Sie haben gesagt, dass von Anfang an im Verständnis der alten Griechen Europa ein eigener Teil war. Warum war das so? War das einfach, weil das einfacher zu erreichen war und man nicht über den Ural klettern musste, oder hatte das kulturelle Gründe? Woran lag das?
Geographische und kulturelle Gründe zugleich. In dem griechischen Verständnis galt das Meer als eine Art Divisionslinie. Also der Hellespont war, charakteristisch nach dem griechischen Verständnis wie es heute noch ist, die Gegend, die Europa von Asien trennt. Gleichzeitig wurde das Mittelmeer verstanden als eine Divisionslinie gegenüber Afrika. Afrika war ein geografischer Begriff für die alten Griechen, wegen Ägypten und der ganze Küste. Diese drei Kontinente gab es schon im Verständnis der alte Griechen. Und was das Kulturelle betrifft. Es ist sehr interessant, dass die alten Griechen schon vor dem fünften Jahrhundert vor Christus mehrmals in Beziehung mit den Persern und anderen Völkern des Orients gestanden haben. Sie haben nie eine Art Hochmut gegenüber diesen Leuten an den Tag gelegt. Eine Art Spannungsverhältnis zwischen den Griechen und den „Barbaren“ des Ostens kam erst im Laufe und als Ergebnis der persischen Kriege. Das war eine sehr wichtige Phase der altgriechischen Geschichte. Als das persische Reich versucht hat auch die griechischen Städte auf dem Festland unter seine Herrschaft zu bringen und die Griechen Widerstand geleistet haben, hat dass das Selbstbewusstsein der Griechen sehr gestärkt. Niemand hätte davor das als eine mögliche Entwicklung angenommen: Das große Perserreich ist nicht im Stande gewesen, ein paar Griechen zu unterjochen. Das hat ihr Selbstbewusstsein sehr gestärkt. Aber auch in dieser Phase hat man nie ganz die Beziehungen abgebrochen zu dem Osten, welcher dann mit Alexander dem Großen wieder innerhalb der griechischen Geschichte vorkam. Denn auch Alexander, als er das persische Reich selbst besiegt hat, hat seine Herrschaft nicht als eine Art Herrschaft über den Orient verstanden, sondern als die Formierung einer neuen Herrschergesellschaft aus Griechen und Orientalen. Das ist eine ganz eigenartige und sehr interessante Dimension seiner Persönlichkeit.

Sie haben gesagt, dass durch die Bedrohung aus dem Osten Griechenland ein Selbstverständnis entwickelt hat. Das moderne Europa, mit ganz vielen unterschiedlichen Ländern und ganz vielen unterschiedlichen Staatsformen hat zueinander gefunden in einer Zeit, wo der kalte Krieg getobt hat, also Bedrohung von allen Seiten war. Kann man das vergleichen? Kann man sagen, dass Europa heute ein Selbstverständnis gefunden hat, wie Griechenland damals, weil die Bedrohung da war?
Natürlich sind die Voraussetzungen ganz anders, aber vielleicht liegt die Ähnlichkeit darin, dass ein externer Faktor oft auch ein ausschlaggebender Faktor ist. Man kommt nicht so leicht zu diesem Verständnis der Ähnlichkeit der Interessen, der grundsätzlichen Ähnlichkeit der Voraussetzungen, der politischen, der sozialen, der kulturellen Voraussetzungen, wenn man in sich ist. Erst wenn man seine interne Welt verlässt, auf die eine oder andere Weise, dann kapiert man, was man hat und was man eigentlich ist. Ich muss ehrlich zugeben ich wurde selbst beeindruckt als ich in den USA war, wie ich mein Europäertum in den USA mehr verstanden habe als zu Hause. Die Idee zum Beispiel, der europäischen Stadt, ist etwas, was sie nicht überall in Amerika finden. Viele amerikanische Städte sind noch, könnte man provokativ sagen, das was in den Western Filmen erscheint. Also eine Mittelstraße, links und rechts ein paar Häuser, und dann fängt schon die Wüste an. Die Idee eines geschichtlichen Kerns einer Stadt, mit dem Markt, mit allen wichtigen Gebäuden, mit einem zentralen Platz, das finden Sie nicht so oft in den USA, wie Sie meinen.
Sein Wessen identifiziert man besser und genauer wenn man das vergleichen kann mit etwas Anderem und dieses Andere waren eben die Perser zu der Zeit der altgriechischen Geschichte. Aber gelichzeitig sollten wir das nicht als eine Art ewige polemische Spannung zwischen Griechenland und Persien verstehen. Daneben gab es oft Beziehungen. Die Handelsbeziehungen waren immer da. Man hat aus dem Osten Produkte importiert und Objekte der Griechen sind oft in den Osten exportiret worden. Das ganze hat natürlich eine andere Stufe in den Beziehungen erreicht, vor allem durch Alexander den Großen und die Entwicklung danach. Von da an kann man sagen, dass wir eine Öffnung Europas richtung Osten haben, die dann im Laufe der Zeit natürlich durch eine Antwort des Ostens auf Europa fortgesetzt wurde. Was mit dem Christentum zum Beispiel geschehen ist. Das Christentum war keine eigenständige Größe, eine lokale Entwicklung Europas. Das Christentum ist eine Synthese zwischen griechischer Philosophoie, jüdischer Religion und anderen Elementen des Orients. Das ist dann integriert worden im Laufe der römischen Kaiserzeit in die gemeinsame europäische Tradition. Das finde ich immer das bezaubernde in der europäischen Geschichte und auch in der griechischen Geschichte, dass man Sachen von auswärts integrieren konnte und dadurch nicht schwächer geworden ist, sondern stärker.

Wie sehr ist das Bewusstsein von Griechenland als Startpunkt der Demokratie und Europas auch heute noch in der griechischen Gesellschaft verankert? Wie sehr ist das noch im Bewusstsein bei den Menschen?
Natürlich, die Tradition der altgriechischen Kultur ist omnipresent, auch bei uns heutzutage. Natürlich sollte man sich vor dem Missverständnis hüten, zu glauben, dass alles altgriechische noch heute genauso lebt wie vor 3000 Jahren. Das neue Griechenland setzt einiges fort von dem alten Alten und einiges natürlich nicht. Sonst wäre das eine Art Fossilierung gewesen. Aber dass das alte Griechenland auch heute bei uns einen großen Stellenwert hat, das ist eindeutig. Manchmal glaube ich, ist das hilfreich und manchmal ist das ein Hindernis was das neue Griechenland betrifft. Es ist hilfreich, weil man natürlich einiges an eigenem Empfinden zurückrufen kann um verschiedene Situationen und Zustände von heute richtig zu setzen. Was Demokratie und demokratisches Verfahren betrifft, kann man schon Szenen aus den Komödien von Aristophanes oder aus den Werken Platos als Vergleichsmaterial heranziehen. Andererseits ist es manchmal ein Problem, dass man allzu leicht im neuen Griechenland stolz ist auf diese Vergangenheit und glaubt, es reicht. Da gibt es ein Defizit. Das muss man mit Ehrlichkeit sagen im modernen Griechnland, dasses nicht genug gemacht hat, um eine eigene Größe zu werden, um eigene Mittel weiter zu fördern. Was das Kulturelle betrifft, hat man doch viel gemacht, aber was Wissenschaft betrifft zum Beispiel, was technische Errungenschaften betrifft, hätte man vielleicht mehr machen können. Man kann nur hoffen, dass wir dieses Defizit gut machen werden im Laufe der Zeit. Aber auf jeden Falls ist das ein, ich würde sagen, zwiespältiges Verhältnis zwischen dem neuen Griechenland und dem Alten.

Gut, das waren im wesentlichen unsere Fragen. Haben wir vergessen etwas zu fragen, was ganz wichtig ist?
Ich kann mich an nichts erinnern. Ich möchte mich bedanken, dass junge Leute aus Deutschland hier den Anfang ihres Rundgangs durch Europa gemacht haben. Zwischen Griechenland und Deutschland speziell gibt es eine ganz besondere Beziehung. Eine Beziehung, die auch für Deutschland sehr wichtig ist. Deutschland ohne Goethe wäre unvorstellbar, aber Goethe ohne die Griechen wäre auch unvorstellbar. Die Besonderheit der deutschen kulturellen Identität basiert zum großen Teil auf dieser besonderen Beziehung zur griechischen Kultur. Die deutsche Kultur ist keine romanische Kultur wie die französische, die italienische. Und wenn sie auf etwas neben dem Römischen basiert, ganz ausgesprochen auf dem Griechischen. Solche Versuche einander besser zu studieren und diese Beziehung lebendig zu halten sind sehr wichtig, vor allem in einer Zeit, wo man sich nicht immer auf die Presse verlassen kann, was das Bild Griechenlands in Deutschland und Deutschlands in Griechenland angeht.

Wenn ihr das Interview in voller Länge hören wollt, könnt ihr das hier machen:

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